Statt seinem Kind im Arm die Depression im Körper
Ganz  plötzlich wurde es tiefschwarz in meinem Körper, in meiner Seele.  Alles, was vorher hell und bunt um mich herum war, war plötzlich so weit  entfernt und grau in grau. Du hast Besitz ergriffen von mir.
Ich  sehe es auch noch Wochen, Monate später wie einen Film vor meinen Augen  ablaufen. Dieses ganze Blut. So viel Blut. Viel zu viel. Und dann war  unser kleines Wunder plötzlich da und doch war es das nicht. Die zarte,  unschuldige Seele war nicht mehr in diesem leblosen Körper. Ich sehe es  noch vor meinen Augen, wie wir unser zuckersüßes Baby der Schwester  mitgegeben haben, nach vielen Stunden kuscheln und ganz viel Gefühl. Wir  haben es ihr in die Arme gelegt, aus freien Stücken. Weil es sein  musste. Irgendwann muss man Abschied nehmen. Und doch hat sie uns unser  kleines Wunder weggenommen. So war dieses Gefühl. Und so ist es auch  heute irgendwie noch. Und dann zogst du Stück für Stück in mich ein. 
In mein Herz. In meine Seele. In meinen Verstand. In meinen Körper.
Von  jetzt an sollte ich mit dir leben können. Doch Tag für Tag spürte ich,  dass DU mit MIR leben musstest. Denn du bestimmtest mein Sein. Meinen  Tag. Meine Nacht. Mein Ich. Stunden wurden zu Tagen, Tage wurden zu  Wochen. Und alles war düster und kalt. In mir. Das Wort, das Gefühl:  Freude. Gab es in meiner Welt nicht mehr. Dieses Gefühl, wenn es in  einem selbst ganz warm wird, weil man etwas Schönes macht oder gar nur  an etwas Tolles dachte. Kannte ich nicht mehr. Denn du warst jetzt da.  Ein Teil meines Lebens. Eigentlich warst du sogar mein Leben. Wenn ich  schlafen sollte, lag ich wach. Wenn ich wach sein sollte, lag ich halb  komatös da. Wenn mir eine kleine Aufgabe bevorstand, wie z.B. einfach  nur in die Dusche gehen, überkam mich dieses panische Gefühl und  gleichzeitig diese Gleichgültigkeit. Warum? Wofür? Nicht notwendig für  mich. „Lass mich einfach liegen, lass mich in Ruhe“, war meine Antwort  auf diese Bitte von anderen. Du warst in mir, begleitetest jeden  einzelnen Atemzug von mir. Bestimmtest sogar jeden Atemzug von mir. Denn  der Gedanke daran, dass mein Kind tot unter der Erde liegt, ließ mich  nicht ruhen. So öffnete ich dir eine Tür in mein Inneres. Oder war es  sogar ein riesengroßes Tor? Ich hatte es dir so einfach gemacht. Ich  habe mich dir geopfert, ich war bereit, dir meinen Körper, mein Herz,  meine Seele zur Verfügung zu stellen. Und du überlegtest nicht lange. Du  stelltest dich mir und meinem Umfeld vor, dein Name war: 
„schwere Depression mit starken Angststörungen“.
Da  warst du nun und bestimmtest mein Sein. Von der glücklichen,  schwangeren Frau zu diesem „Trauerkloß“. Zu dieser leblosen Hülle, die  ich geworden war. Und diese eine Diagnose war schuld daran. Der Grund  war der Verlust meines Kindes, doch die Schuld gebe ich dir. 

Doch  irgendwann, viele Wochen später, kam eine kleine Einsicht zu mir. Sie  klopfte ganz vorsichtig bei mir an, als DU endlich mal kurz geschlummert  und dich in Sicherheit gewogen hattest. Plötzlich verschwand dieses  Bild von dem leblosen Körper unter dieser kalten Erde. Die Einsicht  zeigte mir diesen wundervollen Ort, wo mein Kind nun die Zeit verbrachte  und wo es auf mich wartete, bis ich einmal bereit war, dorthin zu  gehen. Alles war dort ganz bunt und alle waren fröhlich. Dieser  himmlische Duft, der in der Luft lag, diese warme Brise, die meinen  kalten Körper langsam erwärmte. Die Einsicht flüsterte mir noch etwas in  mein Ohr, bevor sie wieder verschwand: „Ein wenig Himmel im Kopf und  das Leben wird leicht“. 
Du bist immer noch bei mir. In  mir. Ich spüre es jeden Tag. In so endlos scheinenden Erinnerungen. In  ganz vielen Momenten, die ich täglich erlebe. Manchmal zwingst du mich  auch noch zu Boden, malst immer wieder bunte Dinge grau oder schwarz an.  Des Öfteren verbringe ich auch noch viel Zeit mit dir im Bett, auf der  Couch, oft dann auch tagsüber. Die Nächte machen wir auch heute noch oft  durch, weil du mich nicht schlafen lassen magst. Doch hin und wieder  habe ich einfach die Kraft, ein wenig Himmel in meinen Kopf zu lassen,  und dann wird mein Leben kurzzeitig tatsächlich etwas leichter. Und die  Dinge, die du so mühelos grau angemalt hast, male ich mühevoll wieder  bunt an. Doch das ist es wert. Ein Leben mit dir ist nicht leicht und  sehr steinig, doch es ist ein Leben. Mein Leben. Alle Tränen, alle  Ängste, all die fehlende Kraft und der fehlende Mut. All das soll nicht  umsonst sein. All das stärkt mich, macht mich zu der Frau, die ich nun  einmal geworden bin. 
Weißt du, liebe Depression? Bleib  ruhig bei mir. Du gehst sowieso nicht einfach weg. Also akzeptiere ich  dich, ich lebe mit dir. Ich gehe meinen Weg mit dir. Wir gehören nun  zusammen, doch ICH lebe mit DIR und nicht DU mit MIR. Und mein Kind  hüpft in einem bunten Himmel, in meinem Kopf. 
 
  


