Fetales Alkoholsyndrom

In diesem Beitrag berichte ich über meine Freundin und mich.
Das Wichtigste: Ich möchte nicht, dass sie verurteilt wird, denn jeder Mensch trägt einen Rucksack, der eine kann diesen besser tragen, der andere nicht. Und oft sieht man diesen Rucksack nicht.

Was ich mit diesem Beitrag bezwecken möchte?
Dass jeder die Augen aufhält und auf seine Mitmenschen achtet.

Vor inzwischen 22 Jahren, ich selber war gerade mal 20 Jahre alt:
5 Uhr morgens.
Das Telefon klingelte.
Am Telefon: Mein bester Freund.

Er war sehr aufgelöst und weinte. “Du musst ins Krankenhaus kommen. Das Baby ist da.”
„Was? Das kann nicht sein. Es ist doch noch viel zu früh.“

Im Krankenhaus angekommen, erzählte mir meine Freundin alles. Völlig aufgelöst.
Gemeinsam mit ihr durfte ich den kleinen Kämpfer kurz besuchen.
In dem Raum war es dunkel. Dort stand ein Inkubator. Darin lag ein noch sehr kleines Wunder.
Kaum schwerer als zwei Päckchen Butter. Die Haut war blass und schien “durchsichtig” zu sein.
Ich konnte jedes kleine Äderchen sehen.
Er trug eine Augenmaske, viele Schläuche und eine viel zu große Windel.
Dieser Anblick trieb mir Tränen in die Augen. Ständig piepsten die Geräte. Er zitterte und zuckte zum Teil sehr heftig.
Für mich war es sehr erschreckend und besorgniserregend zugleich. Ich hatte Angst, es geht ihm nicht gut und zeitgleich war ich mit der Situation einfach überfordert. Ich rief eine Schwester.
Diese erklärte mir, dass es eine Art “Entzugsreaktion” von ihm sei.

Entzugsreaktion? Worauf?

Wie ich dann erfuhr, hat meine Freundin in dieser Schwangerschaft geraucht und viel Alkohol konsumiert. Warum? Hat sie doch in der ersten Schwangerschaft nicht gemacht. Was ist passiert? Lag es daran, dass sie viel alleine war? Dass der Vater sie oft alleine ließ mit einem Baby und schwanger? Warum habe ich davon nichts mitbekommen?

Leider hinterließ der Alkoholkonsum zu viele Spuren. Der kleine Kämpfer musste jahrelang etliche Therapien über sich ergehen lassen. Er musste speziell gefördert werden, um überhaupt das Laufen lernen zu können. Ich versuchte, ihr zu helfen. Suchte mehrmals das Gespräch mit ihr. Ich bat sie darum, sich eine Jugendhilfe zu besorgen. Aber ich war machtlos. Sie wollte keinerlei Hilfe. Und ich war ratlos. Was konnte ich tun?

Heute ist er 22 Jahre alt und kämpft nach wie vor mit den Spätfolgen. Er hat keinen Schulabschluss. Er wird nie “normal” arbeiten können. Das Reden und Denken fallen ihm schwer.

Der kleine Kämpfer musste ab seinem 4. Lebensjahr in einer Pflegefamilie aufwachsen. Warum? Es gab einen Zeitpunkt, da fühlte ich mich gezwungen, das Jugendamt zu informieren. Der kleine Junge kam in eine Pflegefamilie und der Kontakt zu ihm minimierte sich. Aber ich sehe ihn oft und das tut mir gut.

Bitte verschließt nicht die Augen. Versucht, diesen Menschen zu helfen. Sie sind es wert, dass ihnen geholfen wird.

Alkoholsucht ist eine anerkannte Krankheit, viele wissen es gut zu tarnen. Leider. 🙁 Für Außenstehende ist es enorm schwer, einfach so etwas zu ändern.

Ein Fetales Alkoholsyndrom (FAS) wird durch Alkoholkonsum der Mutter während der Schwangerschaft ausgelöst. Es ist gekennzeichnet durch körperliche und geistige Schäden, Fehlbildungen und Mangelentwicklung. Das FAS ist nicht heilbar, aber mit der richtigen Förderung und Unterstützung kann den Betroffenen das Leben erleichtert werden.

Experten schätzen, dass in Deutschland jedes Jahr ungefähr 10.000 Babys mit alkoholbedingten Schäden (Fetale Alkoholspektrumstörungen, FASD) zur Welt kommen. Vermutlich mehr als 2.000 davon weisen den höchsten Schweregrad der Schädigung auf – ein Fetales Alkoholsyndrom. Damit ist das FAS eine der häufigsten angeborenen Behinderungen in Deutschland.

Genaue Zahlen zur Häufigkeit gibt es nicht, weil die Schädigungen oft nicht erkannt beziehungsweise nicht richtig diagnostiziert werden. Das liegt zum einen an dem schwierigen Nachweis. Zum anderen haben Mitarbeiter im Gesundheitssystem oft Hemmungen, den Eltern gegenüber einen entsprechenden Verdacht zu äußern. Oder sie wissen selbst nicht genug über Fetale Alkoholspektrumstörungen und das Fetale Alkoholsyndrom.

Es ist ein schwieriges Thema. Ein Thema, bei dem Eltern und Kinder viel Hilfe benötigen. Hilfe statt Vorwürfe.

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