Heute Nachmittag klingelte plötzlich mein Telefon. Eigentlich wollte ich heute mit niemandem sprechen. Der Verlust meines Kindes lastet heute besonders schwer auf mir und die Trauer hat mich erneut überwältigt.
Trotzdem gehe ich ans Telefon und versuche, so freundlich wie möglich zu klingen. Als ich höre, wer am anderen Ende der Leitung ist, bleibt mir fast die Luft weg – es ist meine ehemalige Freundin. Wir waren sehr eng befreundet, bis mein Sternchen den Weg zu den Sternen antrat. Damals sagte sie viele verletzende Dinge wie „Es ist bestimmt besser so, es wird einen Grund gehabt haben“ oder „Er wäre sowieso krank gewesen.“ Der Satz, der das Fass zum Überlaufen brachte, war: „Ich werde deine Nummer bei WhatsApp löschen, weil du deinen Sohn als Profilbild hast. Ich möchte nicht ständig dein Kind sehen.“
Dabei zeigte das Bild ihn kurz nach seiner Geburt – damals lebte er noch, und wir wussten nicht, dass er nur eine Stunde später schon zu den Sternen reisen würde.
Jetzt höre ich ihre Stimme, und all diese verletzenden Worte kommen wieder in mein Bewusstsein.
Ich frage sie, warum sie anruft. Freudestrahlend teilt sie mir mit, dass sie schwanger ist. Diese Nachricht trifft mich wie ein Schlag ins Gesicht. Ich schweige, meine Gedanken rasen. Warum sie? Warum muss sie mir das jetzt erzählen, obwohl wir so lange keinen Kontakt hatten? Warum ruft sie ausgerechnet mich an?
Der Schock sitzt tief.
Ich höre sie fragen, ob ich gehört hätte, dass sie schwanger ist. Leise antworte ich, dass ich es gehört habe. Dann folgt eine Frage, die mich völlig aus der Fassung bringt: „Freust du dich denn nicht für mich?“ Wieder schweige ich.
„Ja, herzlichen Glückwunsch“, bringe ich zitternd heraus. Doch es tut so weh. Sie, die mir damals sagte, dass es besser sei, dass mein Kind nicht lebt, ist nun schwanger.
Und dann höre ich erneut ihre Stimme: „Ich werde bald eine Babyparty machen. Du bist eingeladen.“ Tränen schießen mir in die Augen.
„Danke für die Einladung“, sage ich zögernd, „aber ich kann leider nicht kommen. Es tut mir sehr leid. Mein Sohn ist noch nicht lange bei den Sternen, und das Thema fällt mir unglaublich schwer.“
Ich versuche, es ihr zu erklären. Am anderen Ende höre ich ein langes Seufzen.
„Willst du jetzt immer trauern? Du musst langsam damit abschließen. Es war ja klar, dass du das als Ausrede nimmst, um nicht zu kommen. Du solltest dein Leben endlich wieder in den Griff bekommen und dich vielleicht mal mit anderen freuen.“
Noch bevor ich etwas sagen kann, höre ich das Tut-Tut des aufgelegten Anrufs.
Ich verstehe, dass sie sich in einer glücklichen Situation befindet. Natürlich wünsche ich ihr alles Gute und das Beste für ihre Schwangerschaft.
Doch es zerreißt mir das Herz. Wie gern hätte ich mein Kind bei mir, würde ihm Geschichten vorlesen oder Lieder vorsingen.
Und da ist sie wieder – die Trauer, die mich einholt. Weinend setze ich mich mit dem Rücken an die Wand.
Ich möchte mein altes Leben zurück. Ich möchte mich für sie freuen können. Aber der Schmerz sitzt zu tief.