
Der Verlust einer Schwangerschaft ist für viele Frauen und Paare eine tiefgreifende, oft traumatische Erfahrung. Doch obwohl Fehlgeburten häufig vorkommen – Schätzungen zufolge endet jede sechste bis achte bekannte Schwangerschaft auf diese Weise – wird in der Gesellschaft kaum offen darüber gesprochen. Stattdessen herrscht ein stilles Tabu, das betroffene Frauen zusätzlich belastet und sie mit ihren Gefühlen allein lässt.
Der Druck, „normal“ zu funktionieren
Frauen, die eine Fehlgeburt erleben, sehen sich oft einem gesellschaftlichen Druck ausgesetzt: Sie sollen schnell wieder „funktionieren“, ihre Trauer nicht zu sehr nach außen tragen und möglichst bald weitermachen. Besonders im Arbeitsleben wird erwartet, dass sie nach wenigen Tagen wieder zur Normalität zurückkehren. Dabei wird oft übersehen, dass eine Fehlgeburt nicht nur eine körperliche, sondern auch eine immense psychische Belastung darstellt.
Hinzu kommt der Druck des sozialen Umfelds. Viele Frauen hören gut gemeinte, aber schmerzhafte Sätze wie „Du kannst ja noch mal schwanger werden“ oder „Es war wohl besser so“. Solche Aussagen relativieren ihren Schmerz und vermitteln das Gefühl, dass ihre Trauer nicht angemessen oder berechtigt sei.
Scham und Selbstvorwürfe
Weil Fehlgeburten oft als individuelles Versagen betrachtet werden, entwickeln viele Frauen Schamgefühle und Selbstvorwürfe. Sie fragen sich, ob sie etwas falsch gemacht haben – zu viel Stress, zu wenig Ruhe, die falsche Ernährung? Dabei sind Fehlgeburten in den allermeisten Fällen nicht vermeidbar und haben biologische oder genetische Ursachen. Doch die gesellschaftliche Erwartung, dass eine Schwangerschaft eine lineare Erfolgsgeschichte sein sollte, verstärkt das Gefühl des persönlichen Scheiterns.
Der Druck zur nächsten Schwangerschaft
Besonders für Frauen, die sich Kinder wünschen, entsteht nach einer Fehlgeburt schnell neuer Druck: Wann wirst du es wieder versuchen? Wie lange willst du warten? Diese Fragen setzen Betroffene unter Stress, obwohl sie vielleicht noch gar nicht bereit sind, sich erneut mit einer Schwangerschaft auseinanderzusetzen. Zudem führt die Erfahrung einer Fehlgeburt oft zu Ängsten vor einem erneuten Verlust, die im gesellschaftlichen Diskurs kaum Raum bekommen.
Ein offenerer Umgang ist nötig
Um den Druck auf Frauen nach einer Fehlgeburt zu verringern, braucht es mehr Offenheit und gesellschaftliches Bewusstsein. Fehlgeburten sollten nicht länger als individuelles Versagen betrachtet, sondern als das gesehen werden, was sie sind: eine oft schmerzhafte, aber natürliche Erfahrung. Dazu gehört, dass Betroffene sich trauen, über ihre Erlebnisse zu sprechen – und dass ihr Umfeld ihnen mit Verständnis und Empathie begegnet.
Anstatt Frauen mit Erwartungen und Kommentaren zu belasten, sollte die Gesellschaft anerkennen, dass jede Betroffene ihren eigenen Weg der Trauer und Verarbeitung geht. Ein offener, enttabuisierter Umgang mit Fehlgeburten könnte dazu beitragen, dass Frauen sich weniger allein fühlen – und sich von dem gesellschaftlichen Druck befreien können, in einer schwierigen Zeit „funktionieren“ zu müssen.