… oder wie ein Schmetterling fliegen lernte.
Ich muss euch unbedingt mein heutiges Erlebnis erzählen, dazu muss ich jedoch etwas ausholen.
Vor 3 oder 4 Jahren habe ich unseren Verein beim örtlichen Bestatter vorgestellt, dazu hatte ich ein Vorstellungspaket, unter anderem mit Schlüsselanhängern und Knautschis in einem Utensilo, ich weiß nicht wann und warum, jedoch sind damals 3 Schlüsselanhänger raus gefallen und waren seither bei mir. Vor einigen Tagen habe ich an meinem Dienstrucksack mein kleines Einhorn gegen einen der Schlüsselanhänger getauscht. Ich weiß nicht einmal warum, der Schmetterling musste unbedingt an den Rucksack.
In eben diesem Rucksack habe ich auch immer ein kleines Mäppchen mit einem Wollerest und Nadelspiel oder Häkelnadel und 1-2 Flyer von uns, falls ich mal wieder irgendwo strande, dann habe ich wenigstens etwas zu tun.
Heute jedoch hatte ich in meinem Stricktäschchen eine Babymütze, nicht für S&F angenadelt. Da ich wusste, ich habe planmäßig über eine Stunde Aufenthalt bis zu meinem nächsten Zug und die Weihnachtsgeschenke wollen ja irgendwann fertig werden.
Ich saß also, so vor mich hin strickend, im Aufenthaltsraum, als mich eine ältere Kollegin ansprach, die dort auch ihre Pause verbrachte.
„Strickst du Puppenkleidung?“
Da ich eigentlich unterwegs immer was für den Verein nadle, antwortete ich gedankenverloren: „Nein, für Sternenkinder“ und schob ihr einen der Flyer rüber.
Sie wurde kreidebleich und fragte mich, wie ich dazu komme, für Sternenkinder zu stricken.
Ich antwortete ihr, dass ich selbst betroffen sei und mein Sternchen vor 26 Jahren nackig und kalt gehen lassen musste und ich nicht will, dass es anderen Eltern auch so geht.
Da fing sie an zu weinen und erzählte mir erst stockend dann immer flüssiger, dass sie vor 31, 32 und 33 Jahren ihre Kinder verloren hat und sie einfach, wie damals üblich, “entsorgt” wurden. Sie nie mehr schwanger wurde, dafür aber um so mehr von ihrem damaligen Ehemann gedemütigt, „sie sei ja nicht mal in der Lage, Kinder auf die Welt zu bringen“ und ähnliches.
Dann schaute sie mich an, legte ihre Hand auf meine, drückte sie kurz und sagte: „Weißt du? Eben habe ich das erste mal über die drei gesprochen“
Dann packte sie ihre Sachen zusammen und ging auf die Toilette, um sich das Gesicht etwas abzuwaschen, sie musste ja gleich auf ihre Bahn.
In der Zeit habe ich den Schmetterling von meinem Rucksack abgemacht und ihn ihr, als sie wieder kam, in die Hand gedrückt und bat sie, immer über ihre Kinder zu sprechen, wenn es ihr danach ist.
Sie nahm den Flyer an sich und flüsterte beim Hinausgehen „Danke für’s Zuhören.”
Ich kenne diese Frau nicht und werde sie wohl auch nicht mehr sehen, doch diese 10 Minuten begleiten mich schon den ganzen Tag.