Was war ich froh, als wir dich nach 12 langen Wochen auf der Intensivstation endlich mit nach Hause nehmen durften. Alle sagten: „Jetzt beginnt das normale Leben”, aber normal, was heißt das schon? Für uns begann ein ganz anderes Leben. Anders, weil man, wenn man “normal” mit seinem Baby zu Hause ist, viel spazieren geht, sich zu Babyturn- und Schwimmkursen anmeldet und die Zeit mit anderen Mamas und Babys genießt.
Doch das konnten wir mit dir nicht.
Erst hieß es “Meiden Sie viele Menschen”, denn du bist ja besonders anfällig. Und dann ging der ganze Termindruck los. Das war alles andere als “normal” und doch konnte ich mir immer wieder anhören: „Sei doch froh, dass er endlich zu Hause ist.“ Natürlich war ich froh, dass du zu Hause bist, doch “normal” sollten die nächsten 2 Jahre nicht werden.
Als Frühchenmama plante ich nun also nicht all diese schönen Sachen, die man sich als frisch gebackene Mama wünscht, sondern versuchte alle Termine im Blick zu behalten. 5-6 Termine in der Woche waren keine Seltenheit. Augenarzt hier, RSV dort, Frühförderung hier, Krankengymnastik dort, all das, was man mit einem Reifchen nicht noch zusätzlich machen muss. Und dann immer dieser Satz: „Sei froh, dass er gesund ist.“ Aber bei all den Terminen mit Ärzten und Therapeuten fühlte ich nicht, dass du ein gesunder kleiner Junge warst. Dazu kam, dass ich mich ausgebrannt fühlte.
Jeden Tag plante ich einen neuen Termin. Ich überlegte, wann du isst, wann du theoretisch schläfst und musste mir dann anhören: „Nee um die Uhrzeit können wir nicht, kommen Sie eine Stunde früher.“ Und jedes Mal stand ich vor der Entscheidung: Termin wahrnehmen und dich fördern und wieder deinen neu gewonnenen Rhythmus kaputt machen, oder nicht?
Anfangs machte ich all das mit. Vermutlich bin ich schuld daran, dass du bis heute, 3,5 Jahre später, immer noch keinen wirklichen Schlafrhythmus hast. Und ja, auch hier darf ich mir oft genug Vorwürfe anhören, von Leuten, die uns und deine Geschichte nicht im Ansatz kennen.
Ein Jahr verging und plötzlich merkte ich die Erschöpfung. Konnte nicht mehr. Stand völlig neben mir und habe tagelang nur geweint…
Die Termine für den Rest des Monats sagte ich alle ab. Auweia, was für ein Donnerwetter hagelte es da. Aber ich setzte mich durch. Kümmerte mich nur um dich. Nahm tatsächlich den ersten und einzigen Babykurs wahr und genoss die Zeit.
Vor allem aber sammelte ich Kraft. Kraft, um für dich weiter zu kämpfen, mit dir wieder jeden Tag irgendwo durch die Weltgeschichte zu reisen, um einen Termin wahrzunehmen. Vielleicht hasst du das Autofahren ja deswegen so sehr, weil am Ende einer Autofahrt immer ein Arzt/Therapeut auf dich wartete.
Mit neuer Energie ging es nun also ins nächste Jahr. Du meistertest alles so toll und deine Entwicklung war grandios. Und plötzlich war sie da, diese Terminfreiheit, die ich mir so sehr gewünscht hatte!
Keine Krankengymnastik mehr, keine Frühförderung, keine monatlichen Augenarzttermine und auch keine Nachsorge mehr. Nach 2 Jahren gab es vom Chefarzt der Neonatologie den “TÜV”-Stempel, dass du top entwickelt bist und als “normales” 2-jähriges Kleinkind den weiteren Weg gehen kannst.
Ich freute mich riesig und doch fiel ich wieder in ein Loch. Denn ich hatte kaum Babykontakte aufgebaut. Wusste plötzlich mit unserer neu gewonnenen Zeit nichts anzufangen, weil ich es einfach nicht kannte.
So sortierte ich also unser Leben ein weiteres mal neu und fing langsam an, mein Mutterdasein zu genießen und das tue ich bis heute.
Auch wenn wir nach wie vor mehr Termine haben als gesunde 3-jährige Kinder in deinem Alter, so genieße ich heute die Langeweile. Dich beim spielen zu beobachten, während ich einfach nur auf dem Teppich sitze und nichts mache, ist einfach wundervoll.
2 Gedanken zu “Frühchen – (k)ein “normales” Baby – das Leben mit 1000 Terminen…”
In dem Tagebuch, das ich vor über 35 Jahren begonnen habe, steht fast dasselbe. Nur dass sie nach 16 Wochen für 3 Tage das erste Mal zu Hause war und dann erst nach weiteren 5Monaten. Aber sonst fast identisch.
Hallo Ursula,
wow, krass, dass es bei fast genauso so war.
Hat deine Tochter alles gut überstanden?
Viele Grüße,
Sarah