Wenn man so steinalt ist, dass man manchmal glaubt, man hätte den Dinosauriern beim Aussterben zugesehen, dann glaubt man, dass sich irgendwie alles immer wiederholt. Doch man ahnt nicht, wie recht und zugleich unrecht man mit dieser Annahme hat.
Damals, in den 1980ern, war es normal, ja fast schon zum guten Ton gehörend, zu handarbeiten.
Es wurde gestrickt, als hinge das Leben davon ab. Ein Pullover nach dem anderen verließ die leise glühenden Stricknadeln. Gerne in lila, um unter der obligatorischen Latzhose bei Demos getragen zu werden. Gegen Atomkraft, für Frauenrechte, gegen den NATO-Doppelbeschluss, für den Frieden.
Und dann, irgendwann gegen Ende der 90er, mit Blick auf den Jahrtausendwechsel, waren dann alle Verwandten, Freunde und Bekannten mit einer mehr als ausreichenden Menge an Socken, Schals, Mützen, Pulswärmern, Pullovern und allerlei unnützem Zeug aus Wolle versorgt. Und als selbst die geduldigste und wohlmeinendste Patentante keine selbstgestrickten Dinge mehr haben wollte, wanderten die Nadeln in einer unzeremoniellen Aktion in die Ecke. Ein traurig wirkendes, halbes Rückenteil noch auf der Nadel sah dem gräßlichen Schicksal entgegen, niemals vollendet zu werden. Die Wolle wurde sorgsam verpackt (“Ich stricke das irgendwann weiter”) und verschwand in den Untiefen von Kammern, Böden oder Kellern.
Man wandte sich anderen Dingen des Lebens zu und irgendwann beschlich einen wie selbstverständlich der Gedanke “Ich werde nie wieder stricken”.
Ja, man hatte beileibe genug gestrickt für ein ganzes Leben.
Doch das Leben geht merkwürdige Wege und nach vielen Jahren der Nadel-Abstinenz trifft man unverhofft auf diese Gruppe von Menschen, die Kleidung und Erinnerungsstücke für Sternenkinder machen.
Wildfremde Menschen, bis auf die Freundin, die einen darauf aufmerksam gemacht hat.
Und dann taucht man ein, erst langsam, fast zögernd. Ein wenig ängstlich, bei jedem Schritt etwas Unverzeihliches zu sagen, mit einer Frage eine alte Wunde aufzureißen oder eine neue Wunde zu verursachen.
Je länger man sich umschaut, desto mehr wird klar, dass das, was auf den ersten Blick wie eine Pfütze erschien, in Wirklichkeit ein Ozean ist.
Was für ein Thema!
Etwas, womit man sich noch nie beschäftigt hat.
Etwas, das so unglaublich groß ist, obwohl es sich mit so unglaublich kleinen Menschen beschäftigt.
Etwas, das tief in die menschliche Seele hinein reicht.
Etwas, das so komplex und facettenreich ist, wie die Vielzahl der Menschen die es betrifft.
Etwas, das genau deshalb kaum fassbar ist.
Und irgendwann hat man dann plötzlich Nadeln und Wolle in der Hand. Die eingerosteten Finger scheinen nicht verlernt zu haben, wie das geht. Und dennoch ist es nun völlig anders.
Nicht nur sind die Dinge jetzt kleiner und viel filigraner als früher. Auch begleiten andere Gedanken die Hände.
Und zum ersten Mal erwachen Zweifel an dem, was man tut.
Ist es wirklich gut genug für jenen einen einzigen Augenblick, den die Eltern mit ihrem Kind haben?
Kann man dem unermesslichen Leid gerecht werden mit dem was man schafft?
Irgendwann verblassen diese Fragen, während die Hände unermüdlich werkeln.
Es ist nicht mehr ein Hobby, sondern so viel mehr geworden, während die Nadeln wieder leise glühen.
Die wildfremden Menschen werden Freunde.
Das Stricken, früher ein Selbstzweck, hat eine Bestimmung gefunden.
Ohne es zu merken ist man angekommen.
Dort angekommen, wohin einen ein Weg geführt hat, der vor sehr langer Zeit begonnen hat und nun endlich fühlt es sich richtig an, was man tut.
Es sind ganz besondere Orte, die man findet, ohne sie je gesucht zu haben.
Verzauberte Orte, an denen Zauberhaftes entsteht.
Mit den Händen. Mit dem Herzen. Mit-Gefühl.
Sternenzauber.
-Lythanda Grauklinge-
3 Gedanken zu “Zauberhaftes entsteht mit Händen”
Ich liebe es, dich zu lesen, egal was du schreibst. MEHR DAVON
hu hu liebe Lythanda, ein so schöner Bericht von Dir, der mich verzaubert 😉
Bist halt auch ein Engel auf Erden.
Lieben Gruß aus Lüneburg Angie
Ein ganz wundervoller und zauberhafter Beitrag. Danke dafür.